Elbe, Oper, Bassdrum (Feature aus De:Bug 163)

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Elbe, Oper, Bassdrum

Das junge Label Uncanny Valley mischt Dresden auf

(Foto: Robert Arnold)
Vom Tal der Ahnungslosen zur dicken Stecknadel auf der internationalen Musiklandkarte: Obwohl Dresden eine amtliche Techno-Tradition hat, ist der jüngste Aufmerksamkeitsschub vor allem dem jungen Label Uncanny Valley zu verdanken. Wir haben Jacob Korn, Philipp Demankowski und den ganzen Rest der vielgesichtigen Clique in ihrer Stadt besucht, wo sie zwischen Szeneviertel und Industriegebiet für Alternativen zur harten Techno-Abfahrt und der Mainstream-Disco sorgen.

“Szeneviertel Äußere Neustadt” preist ein Schild in Dresdens Fußgängerzone die Straßenzüge nördlich der Elbe an. Wenige Meter weiter steht ein Flügel auf dem Asphalt. Ein gut gekämmter Pianist lullt die Passanten mit schmalzigen Akkorden ein. Na, dann doch lieber ab ins “Szeneviertel”. Mit Philipp Demankowski cruisen wir durch die besagte Neustadt. “Das hier ist das Viertel, in dem was geht, aber hier haben wir auch unser Gentrification-Problem”, sagt der DJ, Journalist und “Mann des Wortes” bei Uncanny Valley, dem Label von der Oberelbe.

Auch dort ist seit der Gründung vor zwei Jahren eine Menge los. “Junge Kreative” toben sich aus, machen spannende Musik, Videoclips und aufwändige Cover. Schnell hat sich Uncanny Valley von Löbtau und Loschwitz bis nach Leipzig und London herumgesprochen. Doch zum Glück funktioniert Gentrifizierung bei einem Plattenlabel nicht so gut wie in Stadtvierteln. Ins “unheimliche Tal” kann man sich nicht mit dickem Geldbeutel einkaufen, sondern braucht einfach nur gute Tracks. Beständig wächst die Künstlerriege, regelmäßig stoßen neue Talente hinzu. Die alten Talbewohner werden nicht verdrängt, sondern steuern nach wie vor ihren Teil zum regen Label-Leben bei: Jüngst erschien die “Desert Flight”-EP von Break SL, der seit dem ersten Release bei UV dabei ist. So auch Jacob Korn, der letzten Sommer mit “She” einen echten Hit landete und im September den Label-Katalog um das erste Album bereichern wird.


(Foto: Stefan Tuschy)

Nichts außer Techno-Abfahrt und Mainstream-Disco
Wir fahren weiter in den Dresdner Nordosten, wo die Wohnviertel ins Industriegelände übergehen. Dort liegt, klassisch-romantisch zwischen Schornstein und gestapelten Gasflaschen, der Club Sektor Evolution, in dem am Abend ein lokales Gipfeltreffen abgehalten wird: Uncanny Valley macht Party mit der Dubstep-Crew von Sub Sickness. Während Jacob, Philipp und Co. in ihrem Teil des Sektors Molton verhängen und die Mischpulteingänge nach und nach mit Equipment zustöpseln, plaudert Alexander Dorn vor der Eingangstür über die Clublandschaft in Dresden. “Da drüben”, zeigt er mit dem Finger, “war bis vor kurzem die Galerie Disko. Seitdem der Laden zu ist, fehlt hier was.” Alex hat dort immer wieder Clubnächte organisiert, unter anderem die Electro-Reihe “Robodance” mit Bookings wie der DMX Krew. Als Credit 00 kann der studierte Künstler (das Label-Logo geht auf seine Kappe) schon mehrere Tracks auf Uncanny Valley für sich verbuchen, zuletzt die “Living Room Life”-EP mit vier Stücken, die sich mit Elementen aus Electro, Chicago House und Acid in unterschiedlicher Mischung auseinandersetzen. “In Dresden hast du das Problem, dass es nicht viele Läden abseits Techno-Abfahrt und Mainstream-Disco gibt. Das Alte Wettbüro, ja, aber dann wird’s schon rar. Da muss man sich oft selbst behelfen und Locations suchen, um was auf die Beine zu stellen. Zum Glück gibt es seit einiger Zeit den Sektor. Hier muss man zwar vieles selber machen, aber kann eben auch viel gestalten.”

Neues Label grüßt die Welt
Aus den oberen Fenstern des ehemaligen Industriegebäudes surren Proberaum-Gitarren, die plötzlich rhythmisch stumm gescheppert werden. Der Soundcheck auf dem Uncanny Valley Floor bringt die geschlossenen Rollläden an der Außenwand mit 125 BPM zum Wackeln. Das Wetter wechselt innerhalb von 30 Minuten zwischen heftigem Wind, Regen, Hagel, Schnee und schüchternem Sonnenschein. Irgendwie passt das zu der vielgesichtigen Clique aus Dresdner Musikproduzenten, DJs und Künstlern, die sich im Sommer 2010 das erste mal als Uncanny Valley nach außen präsentierte. Als das nordsächsische Nachtdigital-Festival verschiedene DJs aus der Stadt anfragte, dort einen gemeinsamen Dresden-Floor zu gestalten, wurde konkret, was zuvor als lose Idee zwischen Elbufer und Frauenkirche geschwebt hatte: “Das war die Chance, eine Platte an den Start zu bringen, und auch die Plattform, sie zu präsentieren. Die meisten kannten sich ja schon von gemeinsamen Aktivitäten, vom Partys veranstalten und Musik machen”, erzählt Conrad Kaden nach dem Aufbau und einer leckeren “Toten Oma”, sprich geschredderter Blutwurst mit Sauerkraut und Kartoffeln. So genießt man in Sachsen. Mit Conrad und den umtriebigen DJs und Veranstaltern Albrecht Wassersleben und Carl-Johannes Schulze aka Carl Suspect formierte sich vor zwei Jahren das Kern-Trio hinter Uncanny Valley. Es wurde ernst, und tatsächlich: Wer 2010 auf dem Nachtdigital war, konnte am Merch-Stand zwischen all den Festival-Shirts und -Hoodies die Platte mit dem einprägsamen Comic-Männchen auf dem Sleeve entdecken – die erste “Various Artists EP” eines neuen Labels aus Dresden. “Mit dem Bekanntheitsvorschub von Jacob und Sebastian (Break SL), die beide auf der ersten Platte vertreten waren, war es für uns natürlich einfacher, gleich von Beginn an wahrgenommen zu werden”, erklärt sich Conrad den anschließenden raschen Erfolg.


(Ausschnitt aus Jacob Korns interaktiver Installation “Uncanny Heroes”)

Dresden hat Techno-Tradition
Die Platte schlug ein, die folgenden EPs auch. Mit vier Releases in den ersten sechs Monaten und dabei insgesamt elf Artists pinnte Uncanny Valley eine dicke Dresdner Nadel in die internationale Musiklandkarte. Conrad aber beschwichtigt: “Was wir tun, ist keine Zauberei. Wir sind nicht die einzigen, die in der Stadt aktiv sind. Uns ist es einfach gelungen, die Energien zu bündeln, die hier vorhanden sind, und etwas Vorzeigbares draus zu machen. Wir haben Platten, die bei Resident Advisor besprochen werden, und die Leute denken jetzt, es gab einen Urknall in Dresden.” 
Stimmt aber nicht. Credit 00 gibt eine kleine Geschichtsstunde: “Dresden hat Techno-Tradition. Wir hatten früher das Base, das haben Leute gemacht, die jetzt immer noch am Start sind. Placid Records war europaweit auch ziemlich bekannt.” Nach und nach purzeln der nun versammelten Uncanny-Crew die Namen aus den Mündern: Melted Recordings, Bohnerwax, Suburban Trash, Etui Records, das Netzlabel Phonocake, ganz wichtig: der Plattenladen und soziale Treffpunkt Fat Fenders, und so weiter. Natürlich hört man in Dresden nicht erst seit zwei Jahren auf Bassdrum und Chords. Das große Verdienst des Kollektivs um Conrad, Carl und Albrecht ist vor allem, Vernetzung innerhalb der Stadt hergestellt zu haben. Mit dem Herz am rechten Fleck und der nötigen professionellen Einstellung. “Wir haben viele Kommunikationsstrukturen geschaffen”, erzählt Carl. “Wir treffen uns regelmäßig, hören zusammen Musik, geben einander Kritik und machen auch Leute untereinander bekannt.” Zum Beispiel Break SL und Sandrow M., die nun als C-Beams gemeinsam an Tracks werkeln. Zwischenergebnis: eine komplette EP (“Strollin’”) für Uncanny Valley.

Dresden wirkt auf den ersten Blick hübsch und aufgeräumt, schmückt sich mit Elbpanorama und Semperoper, wirbt mit Historie und Hochkultur. Zu DDR-Zeiten ließ sich hier kein West-Fernsehen empfangen, die Einwohner galten als schlecht informiert. “Das Tal der Ahnungslosen” wurde zum geflügelten Wort. Von ahnungslos zu unheimlich ist es nicht weit. Ein Labelname mit Hintersinn. Im Scherz hatte man auch schon überlegt, das Kind auf “Muss” oder “Soll” zu taufen und damit ein kleines Augenzwinkern nach Leipzig zu Kann Records zu schicken. Die andere große Stadt in Sachsen hat mit gut 520.000 fast exakt gleich viel Einwohner, eine ähnlich aktive Szene (siehe De:Bug 127) und ist doch ganz anders aufgestellt: “Ich glaube, dass Dresden viel mehr so richtig als Osten wahrgenommen wird. Da fährst du nicht durch, wie von Berlin über Leipzig nach München, da musst du schon echt hinwollen”, lacht Alex Dorn. “Vielleicht hat das aber auch mit dem Erfolg zu tun. Es ist hier auf jeden Fall noch sehr viel provinzieller.”


(Foto: David Pinzer)

Conrad, Carl und Co.
Lokale Kräftebündelung macht da absolut Sinn. Neben einer wirklich breiten musikalischen Ausrichtung – auf den bislang zwölf Releases finden sich House, Techno, Electro, Acid, HipHop und Elektronika – zeichnet Uncanny Valley auch das Zusammenspiel verschiedener Kunstsparten aus. Immer wieder entstehen Videoclips zu den Tracks, zum Beispiel für Cutheads Smasher “Vibratin’”. Im Sleeve der zugehörigen EP versteckt sich ein Bastelbogen für eine kleine Cuthead-Figur, die sich gut auf einer rotierenden Platte machen soll. Das erste Release kündigten “Unkönig Willy” und seine Untertanen in einem schelmischen Hörspiel auf Soundcloud an, die Visuals auf den eigenen Partys machen die Freunde von Laterne und auch die Artworks für Cover und Flyer stammen aus dem eigenen Umfeld. Mit der Trans-Media-Akademie im Festspielhaus Hellerau bietet Dresden zudem eine geeignete Spielwiese für spartenübergreifende Kunstprojekte zwischen Technik, Sound und visuellen Komponenten. Dort und im Sektor hat sich Jacob Korn auch schon ausgiebig mit seinen interaktiven Installationen wie “Automatique Clubbing” und “Uncanny Heroes” ausgetobt, bei denen Clubbesucher durch Bewegung in den Sound eingreifen können (mehr dazu in De:Bug 154). Im März diesen Jahres gewann Jacob den Förderpreis der Stadt Dresden für seine medienkünstlerische Arbeit, gab Ende Mai einen Frickel-Workshop auf dem Montrealer Mutek-Festival und bringt bald sein Debütalbum unter das Volk. Das wird gespickt sein mit Kollaborationen: Christopher Rau wurde genauso wie Mr. Raoul K nach Gigs in Dresden in Jacobs Studio geschleppt, um sich dort auf gemeinsamen Tracks zu verewigen. “Das ist im Moment das Authentischste, einfach mal zu dokumentieren, was die letzten Jahre hier so passiert ist. Den Sound, den ich mache, kann man schlecht auf ein Label definieren – außer unser’s da”, lächelt Jacob zufrieden auf einer Bierbank vorm Sektor Evolution, während so langsam die ersten Partygäste eintrudeln.

Den Anfang auf dem Uncanny Valley Floor machen Felix und Jacob, Achtung: Stoy, nicht Korn. Die beiden Jungspunde spielen ein buntes Set, werden von Conrad, Carl und Co. in der ersten Reihe tanzfreudig unterstützt und bekommen locker noch mehr Spielzeit als vorgesehen. Nachwuchsförderung ist den Dresdnern ein wichtiges Anliegen. Designstudent Jacob Stoy gehört zur nächsten Garde von Uncanny Valley, ist gerade mal 20 und wird auf der aktuellen ”Various Artists EP” mit seiner flächenumkleideten Acidline in “S51″ gefeatured. Der beste Track auf der Platte natürlich, wie sein Vater meint.
Die Party im Industriegelände geht noch lang. Auf dem Mainfloor starren zwölf finstere Bassboxen ins Publikum, die Gast-DJ Coki dankend ausnutzt. Währenddessen hat drüben ein dauergrinsender Cuthead das Ruder übernommen und vermittelt restlos überzeugend, dass Jack ein gebürtiger Dresdner sein muss. Der auf Korn und Stoy und viele weitere Nachnamen hört.

Text aus De:Bug 163
Autor: Friedemann Dupelius
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